In der Stadt des ewigen Frühlings
Modernes Medellín
20.06.2015 - 22.07.2015 25 °C
In Cali setzten wir uns einmal mehr ins Flugzeug, denn die Weiterreise per Bus hätte sich als langwierig und anstrengend herausgestellt. So flogen wir in 50 Minuten bequem mit der kolumbianischen Gesellschaft Avianca nach Medellín. Diese Stadt, in der das ganze Jahr über angenehme Temperaturen herrschen - nicht zu kalt, aber auch nicht zu warm - galt in den 70er- und 80er-Jahren als die gefährlichste Stadt der Welt. 1993 hat sie sich aus den Fängen des Medelliner Kartells unter der Herrschaft von Drogenbaron Pablo Escobar befreit und erlebt seither sozial und kulturell einen Aufschwung. Wirtschaftlich ist es der Stadt eigentlich schon immer gut gegangen, denn die umliegende Zona Cafetera, das Hauptanbaugebiet kolumbianischen Kaffees, verhalf ihr zu Reichtum.
Wir hatten drei Tage für die Erkundung der Stadt eingeplant und merkten, dass es in der Zeit knapp reicht, die Innenstadt oberflächlich kennen zu lernen. Es gibt so viel zu tun und zu sehen, und auch vor den Toren der Stadt lädt die grüne Umgebung mit den vielen Hügeln und Bergen zum Verweilen ein. Für mich war Medellín bislang das Highlight Kolumbiens und eine der interessantesten und eindrücklichsten Städte Südamerikas.
Das Black Sheep Hostel, in dem wir wohnten, bot viele Touren in und um Medellín an. Aufgrund der knappen Zeit entschieden wir uns für zwei: die Pablo-Escobar-Tour und den geführten Stadtrundgang.
Zu Hause bei Roberto
Die erste Tour wurde von einer gut informierten jungen Kolombianerin geleitet. An verschiedenen Stationen in der Stadt erfuhren wir alles zum Medelliner Kartell, zu Pablo Escobar und wie der Drogenhandel die Stadt beeinflusst hatte.
Erste Station war der Friedhof, wo Pablo Escobar zusammen mit seiner Familie begraben ist. Ein Junge aus eher ärmlichen Verhältnissen, unternahm er Reisen in benachbarte Länder wie Bolivien, um dort Rohmaterial zur Kokainherstellung nach Kolumbien zu schmuggeln, und kam so zu Reichtum. Ihm gehörte halb Medellín und er konnte sich alles und jeden kaufen, was bzw. den er wollte. Ein Mythos besagt, dass er seinen Schlägern 1000 Dollar für jeden toten Polizisten bezahlte.
Pablos Familiengrab auf dem örtlichen Friedhof ist immer mit Blumen geschmückt, die Familienmitglieder oder Unbekannte hinterlassen. Links im Bild unsere Führerin Ana.
Gefürchtet und gehasst, war er seit den späten 80er-Jahren auf der Flucht und wurde am 2. Dezember 1993 von einer Sondereinheit der Polizei (natürlich mit Unterstützung der USA) erschossen. (Die offizielle Version der Familie ist, dass er sich selbst das Leben nahm, als er sich von Polizisten umzingelt sah.)
Der interessanteste Teil der Tour war die Besichtigung des Hauses der Familie Escobar. Sein Bruder lebt dort mit seiner Familie. Das Haus ist halb Museum, halb Wohnsitz. Es war speziell, da herumstreifen zu dürfen, während gleichzeitig die Familie darin lebt.
Mit diesem Auto soll Pablo Escobar jahrelang Drogen über die Grenze gechmuggelt haben. Später kaufte er sich Flugzeuge und nutzte den Flughafen in der Stadt für seine Kurierfahrten.
Pablo lebte ein extravagantes Leben, besass mehrere Anwesen, darunter eine riesige Ranch mit exotischen Tieren und einem Wasserpark.
Zeitweise war Pablo auch Politiker und nutzte seine diplomatische Immunität, um seine Geschäfte im Ausland abzuwickeln. Sein Geld soll er im kolumbianischen Dschungel sowie auf seinen persönlichen Anwesen vergraben haben. Ich vermute aber, dass viel davon ins Ausland geschafft wurde.
Der heutige Hausherr Roberto Escobar war passionierter und erfolgreicher Radrennfahrer, bevor er auf Geheiss seines Bruders ins Drogenbusiness einstieg. Roberto übergab sich 1991 freiwillig der Polizei, da sein Leben aufgrund der "Pepes" in Gefahr war und er sich im Gefängnis sicherer wähnte. Die Pepes (kurz für: Perseguidos por Pablo Escobar, Verfolgte von P.E.) waren eine paramilitärische Gruppe, deren Ziel die Hinrichtung Pablo Escobars sowie seiner Vertrauten war.
Im Haus, das selber schon ziemlich verborgen abseits einer Nebenstrasse liegt, gibt es zahlreiche Verstecke.
Roberto ist ein netter Gastgeber, der aber von seiner kriminellen Vergangenheit gezeichnet ist. Anderthalb Monate nach Pablos Tod erreichte ihn eine Briefbombe im Gefängnis, deren Explosion sein Gesicht verletzte. Nach unzähligen Operationen sieht er zwar einigermassen genesen aus, aber er hört kaum noch und seine Sehkraft ist stark eingeschränkt. Dennoch signiert er fleissig Bücher für Touristen (mit Fingerabdruck!) und posiert gerne auf Fotos. Auf meine Frage, wann er seinen Bruder zuletzt gesehen habe, meinte er, etwa ein Jahr vor seinem Tod sei die ganze Familie noch einmal zusammengekommen und er hätte bis morgens um zwei Uhr mit seinem Bruder geredet. Danach habe er ihn nie wieder gesehen.
Auf der Tour wurde versucht, uns zu verdeutlichen, dass die Medelliner geteilter Meinung sind, was Pablo Escobar betrifft. Grundsätzlich hat die Bevölkerung unter dem Drogenkrieg gelitten, denn die Stadt war unsicher und kriminell und viele Familien hatten Angehörige, die durch das Medelliner Kartell umgebracht worden waren. Pablo Escobar war aber auch beliebt, denn er spendete vielen Armen Wohnungen, Schulen und soziale Einrichtungen. Von vielen gehasst, von vielen verehrt: Wir fanden es spannend, diese kontroverse Figur und ein Stück Medelliner Geschichte auf dieser Tour kennen zu lernen.
Nach dieser ernsten Angelegenheit war "programme léger" für den Nachmittag angesagt: Kolumbien spielte gegen Peru in der Copa América (dem südamerikanischen Pendant zur Fussball-EM) und so kleidete ich mich in gelb und wir machten uns auf zum Parque Lleras, um die "Selección", das nationale Fussballteam, anzufeuern.
"Hopp Kolumbie!"
Auf der empfehlenswerten Citytour, die auf Trinkgeldbasis funktioniert, erfuhren wir einiges zu Kolumbiens Geschichte und sie war eine sehr gute Ergänzung zur Escobar-Tour, weil sie die Vergangenheit der Stadt von einem anderen Blickwinkel her zeigte: von dem ihrer gewöhnlichen Bewohner und ihrem Alltag. Pablo, unser enthusiastischer Guide, brachte uns auch in Winkel der Stadt, wo Touristen alleine kaum hingehen, wie zum Beispiel auf den Platz vor der Kathedrale, wo Obdachlose neben der Polizeistation Crack rauchen und gleichzeitig ganz normale Bürger zugegen sind. Kolumbien ist ein Land, wo Gegensätze aufeinandertreffen und koexistieren, und zwar auf engstem Raum!
Die schöne Seite der Kathedrale (in meinem Rücken liegt der verruchte Park "Parque Bolívar").
Unser sympathischer Führer Pablo.
Das Monumento a la Raza von Arenas Betancur erzählt die Geschichte des Departements Antioquia.
Medellín ist die Heimatstadt des bekanntesten Künstlers Lateinamerikas: Fernando Botero. Seine molligen Figuren sind weltbekannt.
Der Parque de la Luz (von unserem Führer auch "Crimes Square" genannt) war früher der gefährlichste Platz der Welt. Heute ziert ihn eine Leuchtinstallation mit 300 Lampen, die für ein nächtliches Spektakel sorgen.
Scharf bewacht werden in Kolumbien alle öffentlichen Einrichtungen wie hier die Kathedrale.
Das alte Polizei-Hauptquartier wurde zum Konsumtempel umfunktioniert. Die Jugend freut's.
Zum Abschluss des Tages fuhren wir mit der Seilbahn hoch über die Stadt und verschafften uns einen Rundumblick über diese eigentümliche Metropole, in der wir viel über ihre bewegende Geschichte und Kolumbien erfahren haben.
Posted by birdfish 14:43 Archived in Colombia Tagged cable_car medellin pablo_escobar real_city_tour
Hey hey travellers!
Sehr spannend der Report aus Medellin!
Und da die Dinos immer etwa einen Monat hinterher hinken: Vielen Dank für den anonymisierten Dank (aus Sicherheitsaspekten?) an A&C aus E betreffend Casa H. in Quito ;-) Wir freuen uns dass Euch die Gastgeber und die Unterkunft genauso gut wie uns gefallen haben! Und last but not least: ZUM GLÜCK seid ihr doch noch auf Galapagos! Die Fotos sind ein Hit und haben uns grad wieder auf diese verzauberten einzigartigen Inseln zurück versetzt. Vielen Dank dafür!
Nun "boa sorte" in Brasilien,
Cheers, saúde und adeus
A&C aus E
by Angela