Bei den Teufelskumpeln vom Silberberg
Unter Tage in Potosí
05.05.2015 - 08.05.2015 20 °C
Nach unserem Ausflug in die Salzwüste sind wir auf über 4000 m.ü.M. in die Silberstadt Potosí geklettert. Diese hübsche Kolonialstadt war einst die Schatzkammer des spanischen Reiches. Hier wurde seit Anfang des 16. Jahrhunderts Silber gefördert - die schwere Arbeit verrichteten dabei die geknechteten Einheimischen sowie teilweise auch importierte Sklaven. Die spanischen Kolonisatoren holten riesige Edelmetallmengen aus der Mine, die sie in die ganze Welt verschifften. Potosí war die Hauptquelle des spanischen Silbers und ein bedeutender Standort der Münzprägung.
Gässchen mit Blick auf den Hausberg Cerro Rico.
Die Minen von Potosí befinden sich im nahe gelegen Berg Cerro Rico ("reicher Berg") und sind heute noch in Betrieb. Die Arbeitsumstände haben sich in den letzten 500 Jahren jedoch kaum verbessert. Die Kumpels sind giftigem Staub ausgesetzt, der sie im Alter von gerade mal 45 Jahren an einer Staublunge sterben lässt. Ihre Arbeitsgeräte bestehen lediglich aus Dynamitstangen und Presslufthammer. Es gibt keine Bewetterung (Frischluftzufuhr), Beleuchtung, Aborte oder Fluchtstollen. Um den Gang zur Toilette zu vermeiden, verzichten die Kumpels den ganzen Tag aufs Essen und kauen stattdessen Coca-Blätter, die den Appetit hemmen und aufputschend wirken.
Man sagt, rund 8 Millionen (!) Bergleute hätten in den Minen schon ihr Leben gelassen. Die Indígenas, die Einheimischen, nennen den Cerro Rico deshalb auch "den Berg, der Menschen frisst".
Wer das nicht glauben mag, kann sich auf einer geführten Tour durch die Minen vor Ort selbst einen Eindruck verschaffen. Diese Touren sind heute eine wichtige Einnahmequelle für die Minenkooperativen, denn von der Silber-, Zinn- und Bleiförderung alleine können die Mineros, die Kumpels, und ihre Familien kaum noch leben.
Blick vom Cerro Rico auf die Stadt.
Vor den Minen ruhen sich die Kumpels aus, die gerade nicht Schicht schieben.
Ein frisch geleerter Förderwagen auf dem Weg in den Stollen.
Und so haben auch wir uns in einen Overall und Gummistiefel geschmissen, einen Helm aufgesetzt und uns auf den Weg zum Cerro Rico gemacht. Bevor wir in die Mine einfuhren, haben wir uns auf dem Mercado de Mineros mit Coca-Blättern, Dynamitstangen und Singani, einem lokalen Schnaps, eingedeckt. Diese dienen als Geschenke für die Kumpels, denen wir unterwegs in den Stollen begegnen würden.
Links hinter mir der knapp mannshohe Eingang zur Mine.
Nachdem wir in die Mine eingefahren waren, galt es zunächst, den "Tío" zu besänftigen. Dabei handelt es sich um eine teufelartige Gottheit, welche die Spanier erfanden, um die Einheimischen einzuschüchtern und zur Arbeit anzuspornen. Noch heute bieten die bolivianischen Mineros dem Tío Opfergaben (Coca-Blätter, Zigarretten, Schnaps usw.) dar und hoffen dabei, von Unglücken verschont zu bleiben. Obschon katholischen Glaubens meinen die Mineros nämlich, die Macht Gottes reiche nicht bis in den Berg hinein. Unser Guide betete natürlich für das Wohlergehen seiner Turistas. Na dann, "glückauf"!
Anschliessend erkundeten wir in rund zwei Stunden einen kleinen Teil der Mine. Unter durchgebrochenen Stützbalken gingen wir geduckt durch niedrige Stollen, krochen auf allen Vieren durch enge Durchgänge, kletterten auf maroden Holzleitern schmale Schächte hinab und zwängten uns immer wieder an Förderwagen vorbei. Unterwegs trafen wir die Bergmänner an, die uns über ihre Knochenarbeit Auskunft gaben. Als wir in deren staubige Gesichter blickten, verstanden wir, weshalb sie den ganzen Tag an der Singani-Flasche nippen. Sie machen einen Höllenjob, der anders nicht auszuhalten ist ...
Ein Minero (hinten) macht sich bereit für die Arbeit im Bohrschacht.
Dynamit wird für die nächste Sprengung bereitgemacht.
Ich durfte den Sprengstoff mal kurz halten, das Scharfmachen überliess ich aber dem Sprengmeister. Man beachte übrigens den hochwertigen Atemschutz, den wir erhielten.
Die hohen Temperaturen, die stickige Luft, der Staub, die Dunkelheit und die klaustrophobische Enge unter Tage machten mir mehr zu schaffen, als ich erwartet hatte. Am liebsten wäre ich gleich wieder umgekehrt, aber dann hätte unsere ganze Gruppe die Tour meinetwegen abbrechen müssen. Am Schluss war ich jedenfalls heilfroh, als wir endlich wieder Tageslicht erblickten!
Nicht allen wars so schmauchlig zumute wie mir! Links unser Guide, die Pausbacken voller Coca-Blätter (was nicht gerade zu einer deutlichen Aussprache beigetragen hat ... ).
Wer mehr über den harten Alltag der Mineros von Potosí erfahren möchte, dem empfehle ich den Dokumentarfilm "The Devil's Miner". Er erzählt die bewegende Geschichte des Waisenjungen Basilio, der mit 14 Jahren in den Minen arbeitet, um seine Familie zu ernähren.
Trailer zum Film:
Vom Silber zum Geld
Wie es mit dem geförderten Silber aus dem Cerro Rico weiterging, erfährt man während eines Besuchs der Casa Real de la Moneda, der königlichen Münzanstalt. Hier wird erklärkt, wie die spanische Krone Münzen prägte und damit das gesamte Kolonialreich und die Heimat versorgte. Man versteht plötzlich, weshalb Potosí einst reicher und prunkvoller war als Paris oder London.
Fassade und Innenhof der Moneda.
Mit dieser durch Esel angetriebenen Maschinerie wurden die Silberbarren gewalzt.
Später wurden die Esel von Dampfmaschinen abgelöst. Oben rechts sieht man die Antriebsriemen.
Interessante Anekdote zum Prägestempel der Münzanstalt (unten links im Bild): Der Stempel setzt sich aus den vier Buchstaben P, T, S und I (Potosí) zusammen. Später vielen das P und das T weg, sodass man ein durchgestrichenes S erhielt - das uns bekannte Dollarzeichen, das ursprünglich das Zeichen für sämtliche in Südamerika verwendeten Pesos war. So lautete jedenfalls die Version unseres Guides ...
Nebst Münzen wurde das Silber auch dazu verwendet, allerlei Kunstgegenstände herzustellen.
Ebenfalls zu bestaunen war ein kunstvoll verzierter Sekretär, wie sie von begabten einheimischen Handwerkern auf Anweisung der Jesuiten angefertigt wurden.
Ein freundlicher Fremdenführer zeigte uns anschliessend noch einige schöne Ecken und Gässchen in der Stadt.
Dass es in Potosí auch ausgelassen zu- und hergehen kann, bewiesen immer wieder die vorbeiziehenden Marschkapellen, die vom lautstarken Gedonnere von Feuerwerk und Dynamit (!) begleitet werden.
Das prunkvoll verzierte Tor der Iglesia de San Lorenzo.
Ein Besuch im Convento de San Francisco:
Blick vom Dach auf die Kathedrale von Potosí und den Cerro Rico.
Vor unserer Abreise besuchten wir noch den Convento de Santa Teresa, ein Karmelitinnenkloster, das immer noch von einer Handvoll Nonnen bewohnt wird.
Blick in Küche und Speisesaal. In letzterem heisst es: "Memento mori!". Man sieht es auf dem Bild kaum, aber vor dem Tisch in der Mitte erinnert ein Totenschädel daran, dass irdisches Leben vergänglich ist. Na dann, guten Appetit!
In einem Sammeltaxi, das wir uns mit einem Schweizer Reisekollegen teilten, machten wir uns schliesslich auf den Weg nach Sucre, der konstitutionellen Hauptstadt Boliviens. Dort hofften wir, endlich wieder einmal richtig durchatmen zu können - Sightseeing auf 4000 m ist nämlich sehr, sehr anstrengend.
P.s.: Wo wir schon beim Thema Bergbau sind: Hier noch ein Country-Klassiker der Bergmannstochter Loretta Lynn.
"Coal miner's daughter"
Posted by b.visser 18:22 Archived in Bolivia Tagged potosí cerro_rico the_devil's_miner casa_de_la_moneda convento_de_santa_teresa convento_de_san_francisco
Sehr eindrückliche Ausführungen zu den Kumpels. Da würde auch der Song "Working in the Coal Mine" von Lee Dorsey sehr gut passen.
by Tobias